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"Nachdenken kann man auch im vorhinein." (Benyoetz)

 
Wenn ich ajour bin mit der Zeitung, dann kann ich auch etwas kopieren, mit dem Link haut wohl nicht hin. Muß mal bei Gelegenheit kürzen. Erstmal den Artikel sichern. Spiele selten Schach, aber vielleicht sollte ich es mal als Aufforderung verstehen. Den Mozart in der Partie ergründen?

Der Untote des Schachs
Einst Wunderkind und Weltmeister, heute auf der Flucht vor sich selbst: Bobby Fischer wird 60 / Von Christian Eichler

FRANKFURT. Mit 13 Wunderkind, mit 29 Weltmeister, seitdem der große Untote des Schachs: Bobby Fischer ist unvergleichlich. Auch in der Paranoia, die ihn mehr und mehr packte, seit er 1972 der sowjetischen Schach-Hydra den letzten Kopf abschlug. Nie wieder war der Kalte Krieg so heiß, so komprimiert auf den Kampf zweier Hirne wie damals in Reykjavík. Nie wieder fand Schach ein solch weltweites Interesse. Fischer hatte in den Ausscheidungskämpfen die größte Erfolgsserie der Geschichte geschafft: zwanzig Siege in Folge gegen stärkste Konkurrenz, ohne Remis. Dann bestand er gegen Boris Spasski den Nervenkrieg um die WM-Krone. Danach blieb Bobby Fischer nur ein einziger Gegner: er selbst. Diese Partie hat er verloren.

Gewonnen hat er ewigen Ruhm. Dafür hätte schon eine einzige Partie gereicht. Er gewann sie als dreizehnjähriger Junge mit Schwarz gegen den Großmeister Donald Byrne. Sie wurde "Partie des Jahrhunderts" genannt und blieb es: Bei der fortlaufenden Abstimmung der Website "chessbase" führt sie die Rangliste der "besten Partien aller Zeiten" an. Fischer hat unter den rund tausend Partien, die er öffentlich spielte, zahllose Meisterwerke hinterlassen. Ihre Notationen können den Liebhaber beim Nachspielen glücklich machen wie eine Partitur von Mozart - in der Klarheit des Gedankens, der Eleganz des Entwurfs, der Kühnheit der Ausführung.

Schach oder die Schönheit des Denkens. "A Beautiful Mind", so hieß die Oscar-prämierte Filmgeschichte des schizophrenen Mathematikers und Nobelpreisträgers John Nash. Fischers Leben wirkt oft wie eine Kopie davon. Auch sein Genie war verpackt in Arroganz, Exzentrik, Paranoia. Zahllose Turnierstarts kippte Fischer, Schrecken jedes Veranstalters; forderte mehr Geld oder weniger Licht oder ein Verstummen der hohen Töne, die außer Hunden nur er hörte. Dann wieder spielte er jahrelang gar nicht, nur mit sich, gegen sich, vierzehn Stunden am Tag; abgetaucht ins Innere seines Hirns.

Auch der WM-Kampf auf Island stand lange auf der Kippe. Präsident Nixon schickte Außenminister Kissinger los, Fischer zu überreden. Der war immer mehr von der Mischung aus dunklen Ängsten und blanker Gier beherrscht. Erst fürchtete er, die Russen wollten sein Flugzeug abschießen. Dann trieb er das Preisgeld auf 250 000 Dollar (Spasski hatte drei Jahre zuvor 1400 bekommen) - und ließ doch ganze Dollarbündel gleichgültig in Hotels herumliegen. Dann wollte er nicht spielen, weil das Brett spiegelte; dann, weil im isländischen Fernsehen seine Lieblingsshow nicht lief. Zur zweiten Partie trat er nicht an, weil ihn Kameras störten; Spasski ging 2:0 in Führung. Als Fischer endlich spielte, versuchten die Russen die Psycho-Nummer, ließen Fischers Stuhl nach Vorkehrungen absuchen, die Einfluß auf Spasskis Hirnwellen nähmen. Fischer schaffte es auch ohne Elektronik, Spasskis Denken zu blockieren. Ihn faszinierte am Schach weniger die Konstruktion des Spiels als die Destruktion des Gegners: "Der Moment, in dem ich seinen Willen breche." Deshalb begann er Hitler zu bewundern: "Weil er der Welt seinen Willen aufzwang."

Der Junge aus Brooklyn, Sohn eines deutschen Biophysikers und einer Schweizer Kinderpflegerin, die nach Amerika emigriert war, kam als Weltmeister heim nach New York, als Held Amerikas. Millionenverträge häuften sich; er unterschrieb sie nie. "Die Parasiten sammeln sich", sagte er einem Reporter. Seitdem flieht er. Kampflos überließ er 1975 Anatoli Karpow den Weltmeistertitel, den er bis heute für sich reklamiert. Er lebte in einer apokalyptischen Sekte, die ihn ausnahm, ehe er befand, daß sie "einer geheimen satanischen Weltregierung" diente. Er trug einen verschlossenen Koffer voller exotischer Essenzen mit sich, als Abwehr der Gifte, die ihm vermeintlich kommunistische Agenten ins Essen mischten. Er ließ sich alle Zahnfüllungen herausbrechen, damit eingebildete elektronische Sender in den Plomben sein Denken nicht steuern konnten. Er, der einst nur Maßanzüge getragen und eine schachturmförmige Villa geplant hatte, lebte in schäbigen Apartments, hielt sich über Wasser nur durch Buchtantiemen und Privatlektionen, 2500 Dollar pro Telefonstunde. Als ihn ein Kamerateam 1992 in Los Angeles aufspürte und an die Tür klopfte, schrie er verzweifelt wie ein Todgeweihter: "Sie haben mich gefunden!" Der Schah von Persien hatte ihm zwei Millionen Dollar geboten, der philippinische Despot Marcos drei Millionen. Doch Fischer bestritt keinen Wettkampf mehr - bis auf jene "Revanche" gegen Spasski im Kriegs-Belgrad des Jahres 1992, die ihm 3,65 Millionen Dollar Siegprämie brachte, ihn aber wegen Verstoßes gegen das Embargo zum Ausgestoßenen machte. Vor den Kameras spuckte er auf den Warnbrief aus Washington. Seitdem besteht in den Vereinigten Staaten ein unbefristeter Haftbefehl gegen Robert James Fischer.

Einige Jahre kam er in Budapest unter, bei der Familie der Polgar-Schwestern, der weltbesten Schachspielerinnen. Dann brach auch dieser Kontakt ab, so wie sein Verfolgungswahn nach und nach fast alle sozialen Beziehungen zerstörte. Wie die Zeitschrift "Atlantic Monthly" in einer ausgiebigen Spurensuche ermittelte, ist er Vater einer zweijährigen Tochter, die mit ihrer Mutter in Manila lebt. Fischer lebt einsam in Tokio.

Das Schachhirn arbeitet noch. Um das Spiel aus dem Griff von Eröffnungstheorie und Analysen-Apparaten zu befreien (und auch dem seines Nachfolgers Kasparow, hinter dessen Siegen er die Drahtzieher der alten russischen Schach-Mafia sieht), erfand er "Fischer Random Chess" (FRS), bei dem die Position der acht Figuren auf der Grundreihe vor jeder Partie per Zufall neu geordnet wird. Diese originelle, wenngleich nicht revolutionäre Idee wurde zur Auflockerung von manchen Meistern aufgenommen. Die beiden Spitzenspieler Adams und Leko spielten 2001 eine Serie von FRS-Partien.

Doch es gibt noch mehr, womit Bobby Fischer die Welt aufrütteln will. Seit 1999 äußert er sich immer wieder über philippinische Radiosender mit antijüdischen und antiamerikanischen Tiraden. Darin sieht sich Fischer, der die jüdische Herkunft seiner Mutter leugnet, als Opfer einer "jüdischen Weltregierung" (die ihre Macht unter anderem auf die "Erfindung" des Holocaust, das Schlachten von Kindern und den Terror des Fastfood gründe). Am 11. September 2001 meldete er sich über "Bombo Radyo" wenige Stunden nach den Anschlägen von New York. Er nannte sie "eine wunderbare Nachricht". Nun, hoffte er, werde ein Staatsstreich folgen, die Schließung der Synagogen, die Exekution von Hunderttausenden Juden. "Ich will die USA ausradiert sehen." Er war mit 13 der hellste neue Stern, den der Schachhimmel je sah; mit 29 eine explodierende Supernova; seitdem verglühend in einem schwarzen Loch. Diesen Sonntag wird Bobby Fischer 60. Es werden wohl nicht viele anrufen.

Die "Partie des Jahrhunderts" Byrne - Fischer (New York 1956) 1.Sf3 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.d4 0-0 5.Lf4 d5 6.Db3 dxc4 7.Dxc4 c6 8.e4 Sbd7 9.Td1 Sb6 10.Dc5 Lg4 11.Lg5?! Sa4!! 12.Da3 Sxc3 13.bxc3 Sxe4 14.Lxe7 Db6 15.Lc4 Sxc3 16.Lc5 Tfe8+ 17.Kf1 Le6!! 18.Lxb6 Lxc4+ 19.Kg1 Se2+ 20.Kf1 Sxd4+ 21.Kg1 Se2+ 22.Kf1 Sc3+ 23.Kg1 axb6 24.Db4 Ta4 25.Dxb6 Sxd1 26.h3 Txa2 27.Kh2 Sxf2 28.Te1 Txe1 29.Dd8+ Lf8 30.Sxe1 Ld5 31.Sf3 Se4 32.Db8 b5 33.h4 h5 34.Se5 Kg7 35.Kg1 Lc5+ 36.Kf1 Sg3+ 37.Ke1 Lb4+ 38.Kd1 Lb3+ 39.Kc1 Se2+ 40.Kb1 Sc3+ 41.Kc1 Tc2 matt

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.03.2003, Nr. 57 / Seite 29
 

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